Fracking als unnötiger Zwischenschritt

Den einen macht Fracking Angst, die anderen erhoffen sich die Lösung unserer Energieprobleme: die Förderung von Gas und auch Öl aus tiefen Gesteinsschichten mit Hilfe von Druck und Chemikalien. In seinem Buch beschreibt der Energieexperte Werner Zittel das Verfahren als unnötig und gefährlich.


"Das Grundlagenwerk zur aktuellen Debatte" – dieser Anspruch prangt plakativ in rot auf dem Cover. Für ein Grundlagenwerk ist es ziemlich übersichtlich: 238 Taschenbuchseiten reichen Werner Zittel, um die Technik zu erklären, die an sie geknüpften wirtschaftlichen Hoffnungen sowie die Umweltfolgen sowohl im Fracking-Wunderland USA als auch in Deutschland. Um der Argumentation zu folgen, braucht man kein Naturwissenschaftler zu sein. Der Autor drückt sich meist klar und einfach aus, zum Beispiel bei der Frage nach dem Warum.

"Die Erde hatte nicht einfach die Freundlichkeit, ihre ganzen Vorräte an Öl und Gas in Hochdruckreservoirs zur Verfügung zu stellen, die man lediglich anzustechen braucht, damit alles nur so heraussprudelt. Also muss man sich etwas einfallen lassen, um einen Zugang zu weiteren, im dichten Gestein eingeschlossenen Öl- und Gasmengen zu erhalten."

Ein Ergebnis des Nachdenkens war das Fracking. Mit seiner Hilfe will die Öl- und vor allem Gasindustrie mehr aus den Lagerstätten heraus bekommen. Das Dilemma: Mit Beginn der Förderung lässt in jedem Bohrloch allmählich der Druck im Boden nach und die begehrten Rohstoffe fließen immer spärlicher. Aufschub vor dem Förderende soll die Technik schaffen: Ein Gemisch aus Chemikalien und Sand bricht unter hohem Druck Steine auf und setzt das darin steckende Gas und Öl frei. Allerdings ist dieses Verfahren deutlich teurer als die konventionelle Förderung und riskanter für die Umwelt. Die Chemikalien sind zum Teil giftig oder krebserregend und aus dem Untergrund kommen oft auch Giftstoffe und andere unerwünschte Chemikalien. Vor allem um die Sicherheit des Trinkwassers ist es dann manchmal schlecht bestellt, Werner Zittel schildert dies anhand von Beispielen:

"In der Ortschaft Bainbridge, Ohio, explodierte im Jahr 2007 ein Wohngebäude, nachdem sich das aus dem Wasserhahn entweichende Erdgas entzündet hatte. Eine Untersuchung durch die regionale Umweltbehörde konnte aufzeigen, dass durch die undichte Zementierung einer Gasbohrung mit der Bezeichnung English No. 1 das Erdgas aus der Bohrung in den Grundwasserleiter eindrang, aus dem auch das Trinkwasser des Hauses gespeist wurde."

Der Autor zählt eine Fülle solcher Vorfälle auf. Viele, aber längst nicht alle wären vermeidbar gewesen, wenn die Unternehmen sorgfältiger gearbeitet hätten. Insgesamt ergibt sich das Bild einer Branche, die wenig Rücksicht auf die Umwelt nimmt und Risiken beschönigt oder verharmlost. Die Beispiele kommen dabei überwiegend aus den USA, die Botschaft: Es wäre keine gute Idee, so etwas im dicht besiedelten Deutschland zu wiederholen.

Nur Herauszögern des endgültigen Förderrückgangs

So weit, so wenig überraschend. Auch vor Veröffentlichung von Werner Zittels Werk hatte das Fracking hierzulande ein eher schlechtes Image. Doch der Autor dämpft auch die nach wie vor verbreitete Euphorie in Bezug auf die Chancen der Technologie. Fracking biete nur für relativ kurze Zeit die Möglichkeit, mit hohem Aufwand die vor der Erschöpfung stehenden Reserven noch weiter auszunutzen. Die Vorräte im Boden würden zudem häufig systematisch zu hoch angesetzt. Oft könne nur ein Bruchteil der ursprünglich angesetzten Mengen gefördert werden.

"Die Erschließung der Schiefergasreserven bedeutet aus dieser Perspektive nochmals ein Hinauszögern des endgültigen Förderrückgangs, der damit aber umso deutlicher ausfallen wird, wenn auch die Schiefergasförderung ihren Höhepunkt überschreitet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit der aktuellen Phase niedriger Öl- und Gaspreise diese Phase jetzt beginnt."

Im Vergleich mit der konventionellen Gas- und Ölförderung ergibt sich das Bild vom Fracking als einer teuren Technik mit großen Risiken, aber begrenztem Potenzial. Trotzdem könnte es natürlich angebracht sein, sie unter Beachtung zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen zu nutzen. Und zwar dann, wenn es im Vergleich zu möglichen Alternativen immer noch der beste Weg wäre – wenigstens als Brückentechnologie bis zum Ende des fossilen Zeitalters.

Werner Zittel hält auch dies für eine Illusion. Er wagt zum Schluss seines Werks den Blick über den Tellerrand und vergleicht die Chancen des Fracking mit denen erneuerbarer Energiequellen wie Wind und Sonne – und er behandelt die Frage, in wieweit eine erweiterte Öl- und Gasförderung angesichts des menschengemachten Klimawandels überhaupt zu verantworten ist. Einmal weltweit: "Vor diesem Hintergrund muss es als eine höchst fragwürdige Weichenstellung erscheinen, sich in der Erschließung der noch verbleibenden unkonventionellen Öl- und Gasvorkommen zu engagieren. Man würde auf ein Auslaufmodell setzen, das mit den großräumig notwendigen klimapolitischen Erfordernissen, aber auch mit der realen Entwicklung nichts zu tun hätte oder ihnen diametral entgegensteht."

Und dann in Bezug auf Deutschland, wo die Geschäfte der Fracking-Industrie noch ganz am Anfang stehen: "In Deutschland sind die Voraussetzungen dafür günstig, diesen letzten kleinen Schritt auf dem fossilen Weg einfach auszulassen."

Kritische Haltung zum Fracking

Für seine kritische Haltung zum Fracking steht Zittel auch in seiner sonstigen wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit ein. Er hat zahlreiche Beiträge zum Ende des Zeitalters von Öl und Gas verfasst und engagiert sich in der Energy Watch Group, einem Netz von Wissenschaftlern und Parlamentariern, die sich für die Energiewende einsetzen.

Werner Zittels Buch untermauert die Skepsis gegenüber dem Fracking mit vielen Fakten und nachvollziehbaren Argumenten. Die Schilderung von Wirtschaftlichkeit und Umweltfolgen dieser Technologie ist auch für Laien leicht lesbar und ein Anhang mit Beispielen und einem Förderszenario für Deutschland bringt zusätzliche Daten. Allerdings könnte die Realität dafür sorgen, dass das Interesse an der teuren Fracking-Technologie auch unabhängig von den Umweltbedenken noch schneller nachlässt als vom Autor erwartet.

Der Verfall der Preise für Öl und Gas macht viele Vorhaben schon heute unrentabel und auch die politische Großwetterlage hat sich in jüngster Zeit geändert. Das Klimaschutzabkommen von Paris stärkt die Erwartung, dass das Ende des Zeitalters der Fossilen Energiequellen schneller kommt als bisher erwartet. Was dem Absatz des Buches schaden könnte, nicht jedoch dem Anliegen seines Autors.

Werner Zittel: "Fracking. Energiewunder oder Umweltsünde", Oekom Verlag, 238 Seiten, Preis: 19,95 Euro