Fracking: Vom Boom zum Bumerang

Der zweitgrößten US-Frackingfirma droht aufgrund des niedrigen Ölpreises die Pleite. Die umstrittene Branche wird zum Opfer ihres eigenen Erfolgs.



Der Ölingenieur Aubrey McClendon verkörperte den amerikanischen Traum: Binnen weniger Jahre formte der Ex-Chef von „Chesapeake Energy“ aus seiner kleinen Firma den zweitgrößten Erdgasanbieter der USA. Doch nun steht das Frackingunternehmen womöglich vor dem Aus. Gerüchte über eine Unternehmenspleite halbierten den ohnehin schon stark gesunkenen Börsenwert auf unter zwei Dollar, binnen Jahresfrist schrumpfte er um 90 Prozent. Das Unternehmen dementierte, doch die Zahlen sind düster. Die Schulden belaufen sich auf zehn Milliarden Euro.


Es ist der bisher aufsehenerregendste Fall in einer Serie von schlechten Nachrichten aus einer noch vor kurzem florierenden Branche. Seit 2014 mussten bereits 60 Öl- und Gasfirmen Insolvenz anmelden, 150 weitere könnten laut der Analysefirma IHS folgen. Das „New York Times Magazine“ schildert, wie sich das Leben in der Stadt Willington verändert hat, einer typischen, durch Fracking noch vor kurzem boomenden Region in North Dakota. Viele Arbeitercamps und neu gebaute Luxusappartements stehen leer. „Wir haben zu viel Hotelzimmer, zu viele Apartments, zu viele Restaurants“, berichtet ein Geschäftsmann. „Leute werden pleitegehen. Leute werden ihre Jobs verlieren. Es wird schmerzhaft werden.“

Ursache der Pleitewelle ist der Absturz des Rohölpreises um 70 Prozent, an den auch der Gaspreis gekoppelt ist. An der Entwicklung, die derzeit die globalen Märkte durcheinanderwirbelt, hatte der Frackingboom in den USA einen entscheidenden Anteil. Anders als während vorangegangener Krisen drosseln die Opec-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, die Förderung nicht, sondern lassen das Öl weiter sprudeln – um die neue Konkurrenz vom Markt zu drängen, die deutlich höhere Förderkosten hat.


Zwar konnten US-Unternehmen die Produktivität der „unkonventionellen“ Öl- und Gasquellen steigern, doch um kostendeckend arbeiten zu können, brauchen die Frackingfirmen noch immer bis zu 60 Dollar pro Barrel – doppelt so viel, wie derzeit auf dem Weltmarkt dafür gezahlt wird. Die meisten Unternehmen arbeiten nun mit Verlusten. Im November schlug bereits die US-Notenbank Federal Reserve Alarm: 15 Prozent der von den Finanzinstituten an Energieunternehmen vergebenen Kredite in Höhe von insgesamt 276 Milliarden Euro seien nicht sicher. Das sind fünfmal mehr als ein Jahr zuvor.

Dabei schien die US-Frackingbranche dem Ölpreisverfall zunächst zu trotzen. Die teuersten Quellen wurden geschlossen, Produktionskosten gesenkt. Beobachter sehen die derzeitige Pleitewelle auch als einen nötigen Ausleseprozess. Die zuletzt gesunkene Öl- und Gasförderung mittels Fracking könne, wenn der Ölpreis wieder steigt, jederzeit wieder hochgefahren werden. Die Branche trage damit erheblich zur Energiesicherheit der USA und anderer Länder bei.


Doch dass es bald zu einer Erholung des Ölpreises kommt, scheint derzeit ungewisser denn je. Mit dem Iran, der nach dem Ende der Sanktionen nun wieder Öl exportieren darf, tritt ein weiterer großer Player auf den Weltmarkt – erste Tanker sind schon auf dem Weg dorthin. Es scheint also immer wahrscheinlicher, dass die Kurve des Ölpreises noch auf absehbare Zeit kein „U“, sondern ein „L“ beschreibt.


Und spätestens seit Pariser Klimakonferenz vom Dezember ist klar: Je länger ein fossiler Rohstoff unter der Erde liegt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er dort auch für immer bleiben muss. In einer viel beachteten Studie haben Wissenschaftler des University College London 2015 berechnet, dass nicht nur 80 Prozent der globalen Kohlereserven „unverbrennbar“ sind, wenn das Ziel erreicht werden soll, dass die Erdtemperatur nicht um mehr als zwei grad steigt. Auch ein Drittel des Öls und die Hälfte des Erdgases muss in der Erde bleiben. Und in Paris wurde das Klimaziel noch einmal verschärft.


Wolfgang Hassenstein